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Peter Herrmann ist 1937 in
Großschönau bei Zittau geboren und in Dresden aufgewachsen, wo
er bis 1970 als Chemiegraph und in anderen Jobs arbeitete. Er kommt aus
dem Kreis um Jürgen Böttcher (Strawalde). Mitschüler und
Freunde: Peter Graf, Winfried Dierske, Peter Makolies und Ralf Winkler (A.R.
Penck). 1984 verließ er die DDR und lebt seit 1986 in Berlin. Werke
dieses Malers befinden sich in der Dresdner Galerie, Neue Meister, im Museum
Ludwig Köln und in der Berlinischen Galerie. Die Ateliergemeinschaft
mit dem Bildhauer Hans Scheib trug zu drei namhaften Ausstellungen bei:
"Bleu de Prusse", 1989 auch im Goethe-Institut Paris gezeigt,
"Der Goldene Topf" 1995 im Oktogon des einstigen Dresdener Kunstvereins
an der Brühl'schen Terrasse, 2002 "Peter Herrmann - Hans Scheib",
ein Überblick in der Zentrale der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Bonn.
1998 erhielt er den Preis der Villa Romana Florenz; 2001 wurde er mit dem
"Fred Thieler-Preis für Malerei" der Berlinischen Galerie
ausgezeichnet. 2003 hatte er eine Einzelausstellung im Kölner Museum
Ludwig.
In der Galerie am Savignyplatz befinden sich Ölbilder, Aquarelle und
Federzeichnungen aus den letzten zwanzig Jahren.
FRED THIELER PREIS FÜR MALEREI 2001
Laudatio von Evelyn Weiss
Laudatio bedeutet eigentlich Lobpreisung, Lobgesang. Und diese pompösen
Ausdrücke wollen so gar nicht zur Figur und Person Peter Herrmanns
passen. Ist er doch in seinem Charakter und seiner Lebensäußerung
zurückhaltend, fast scheu. An seiner entwaffnenden Direktheit, fern
von jeder nur angedeuteten Pose oder Attitüde prallt jede pathetische
Formulierung, jede intellektuelle Spitzfindigkeit, jeder kopflastige Kunstjargon
wie an einem Felsen ab. Und so erlebt man auch bei der ersten Begegnung
mit seinen Bildern diese Direktheit, diese ungekünstelte Ehrlichkeit;
man ist von der Eindringlichkeit, von der echten, ursprünglichen Kraft
seiner Malerei immer wieder überrascht und fasziniert. Dies empfand
ich auch bei meiner allerersten Begegnung mit Peter Herrmann und seinen
Bildern, einer Begegnung, die nicht nur im vorigen Jahrhundert stattfand,
sondern sich von heute aus gesehen fast auf einem anderen Planeten ereignete.
1978 besuchte ich zum ersten Mal Dresden und es war mein erster Besuch in
der DDR überhaupt. Auch war es meine erste Begegnung mit der offiziellen
Staatskunst an Ort und Stelle (die große Dresdner Kunstausstellung),
aber gleichzeitig auch mit dem "anderen" Kreis, dessen einzig
mir bekannter Künstler Penck war. Es war die Zeit als diese Informationen
nur geflüstert weitergegeben wurden, so zum Beispiel, dass Werner Schmidt,
Direktor des Kupferstichkabinetts, wichtige Adressen hatte. Ich betrat damals
völlig fremden Boden. In der Erinnerung verschmelzen ein unbestimmtes
Gefühl der Furcht, der Eindruck einer grauen, bleiernen Stadt mit der
glühenden Wärme, der Menschlichkeit und Freundschaft der Künstler,
die wir besuchten. Peter Herrmanns Bild in der großen Dresdner Ausstellung:
Im Abseits gehängt, fast versteckt, von den Ausstellungsmachern offensichtlich
als unbedeutend und ein wenig lästig empfunden, man musste es suchen.
Ich fand es: "Meine Freunde", hieß das Gemälde, eine
verhältnismäLig kleine Leinwand in wunderbaren nuancierten grau-ocker-braun
Tönen gehalten. Vier Freunde sitzen in einer kahlen Zimmerecke am Tisch,
Böttcher "Strawalde" redet und scheint etwas zu erklären
und die anderen drei, Peter Graf, Eberhard Göschel und Peter Herrmann,
schauen ihm traurig-gespannt zu. Diese Welt ist ohne Bilder, alle Gemälde
sind zur Wand gedreht und das fahle Licht, eine kleine Lampe und eine nackte
Birne, erleuchten das kahle Szenario. Es ist das erste aus einer Reihe von
Freundschaftsbildern, die Herrmann malen wird und damit ein alt tradiertes
ikonografisches Topos der Kunstgeschichte aus vergangenen Jahrhunderten
aufgreift und in unserer Zeit zum neuen Leben erweckt. Damit rückt
Herrmann auch in die Nähe des deutschen Expressionismus, hatte schon
Kirchner in den 20erJahren sein berühmtes Gruppenbild "Die Maler
der Brücke" geschaffen, ein programmatisches Werk über eine
Künstlerfreundschaft, die leider zum Zeitpunkt der Entstehung des Gemäldes
nicht mehr existierte. In Dresden malte Penck in den 60er Jahren ein berühmt
gewordenes Freundschaftsbild mit den Freunden Böttcher (Strawalde),
Wolf Biermann, Penck selbst und Georg Baselitz (heute Museum Ludwig Köln).
Penck war gewiss die schillerndste und nach außen bekannteste Figur
dieser Gruppe. Im Westen interessierte sich sehr früh der mächtige
Galerist Michael Werner für ihn und kaufte bereits in den frühen
70er Jahren seine Werke. Er wurde 1980 aus der DDR ausgewiesen und machte
eine internationale Karriere. Dabei vergaß er seine Dresdner Freunde
nie und unterstützte sie mit großer Beharrlichkeit, sowohl finanziell
als auch durch Fürsprache und Präsenz. Der geistige Anreger der
frühen Zeit in den 50er und 60er Jahren war aber zweifellos Jürgen
Böttcher, genannt "Strawalde". Er wurde als unbestrittene
Vaterfigur anerkannt. Peter Herrmann, Ralf Winkler (Penck) nahmen bei ihm
Zeichenunterricht an der Volkshochschule. Penck erinnert sich: "Jürgen
Böttcher war der erste richtige Künstler, mit einem eigenen Atelier,
den ich kennen lernte. Er vermittelte mir die ersten Einsichten in die Kunstgeschichte
und in die Grundlagen der Malerei von Stilleben bis zu Picasso. Peter Herrmann
beschreibt es so: "Was mich so begeistert hat von Böttcher, das
war seine Haltung gegenüber solchen Leuten wie wir, die keine Ahnung
hatten von der Kunst. Er zeigte einfach Dinge, die ich überhaupt noch
nicht verstanden hatte, die mich aber irgendwie fesselten. Jeder brachte
mit, was er gerade gemacht hatte und wovon er dachte, es könnte vielleicht
irgendwie ganz gut sein, eine Zeichnung oder ein Bild. Auch Schallplatten.
Und darüber wurde dann gesprochen. Und wir bekamen Produktionen zu
sehen - Picasso, aber auch die alten Meister, Giotto, Rembrandt und Cranach.
Es war eine aufregende, prägende Zeit, die von heute aus gesehen schon
etwas Legendäres hat. So klingt es auch, wenn Herrmann von diesen Anfängen
erzählt: "Ich habe beinahe täglich gemalt, manchmal auch
in Ralfs (Penck) Atelier - übrigens das erste Atelier, das ein Freund
hatte. Ein Gartenhaus mit einer Garage dran. Im Winter war es saukalt, weil
der Ofen nicht funktionierte. Wir sind aber auch, der Ralf und ich, durch
die Trümmerlandschaft Dresdens gezogen und haben gemeinsam gezeichnet
an der Elbe. Leider gibt es aus dieser Zeit von mir nur noch eine Zeichnung.
Die anderen haben meine Eltern irgendwie weggeworfen". Dies ist ohne
Ressentiments gesagt, es ist eine reine Feststellung, die aber den langen
Weg aufleuchten lässt, wie ihn der Künstler gegangen ist.
Peter Herrmann wurde 1937 in Großschönau bei Zittau in der Oberlausitz
geboren, ein Jahr später zog die Familie nach Breslau, wo der Vater
eine Arbeitsstelle als Chemigraph erhielt. Der Krieg bestimmte die Kindheit
in Breslau, er erinnert sich an die Kirchengänge am Sonntag, an die
Fliegeralarme, an die Luftschutzkeller und an den Lehrer und den Blockwart,
die immer "Heil Hitler" riefen. Der Vater war im Krieg und nachdem
Breslau zur Festung erklärt wurde, zog man weiter zum Großvater
nach Dresden. Hier erlebte das Kind die schreckliche Bombardierung von Dresden,
aber hier kam er auch zum ersten Mal mit der Malerei in Kontakt. "Mein
Großvater war Porzellanmaler. Er malte in seinem Zimmer, das war sein
Refugium. Wir durften dieses Zimmer nicht betreten. Der Geruch der Farbe
hat mich damals schon betört. Es war wie in einer Zauberwerkstatt.
Später durfte ich zugucken, wie er mit Andacht und Liebe seine wunderbaren
Bilder malte oder die Farbe anrieb. Diese sinnlichen Dinge sind es gewesen,
die mich fasziniert haben. Da reifte eigentlich schon der Entschluss, selbst
Maler zu werden". 1951 beginnt Herrmann eine Lehre als Chemigraph,
den Beruf wird er bis 1972 ausüben. Nach sechsjähriger Kandidatur
wurde er 1972 im Verband Bildender Künstler aufgenommen und widmete
sich von Stund an unter schwierigsten finanziellen Verhältnissen der
Malerei. Große Themen im Werk von Herrmann sind immer wieder Stadtlandschaften,
die vor allem Dresden und Berlin darstellen. Es sind unverwechselbare Gebilde
auf meist großen, fast quadratischen Flächen oder friesartig
auf langgestreckten Querformaten. Dresden steht lange Zeit für die
Heimat, seine Familie, seine Freunde, die Eltern. Dresden ist die Erinnerung
an die in der Kindheit erlebte und nie vergessene Bombennacht, an die Zerstörung,
an den Tod, aber auch die Erinnerung an die Künstlerfreunde, an die
gemeinsamen Kämpfe für und um die Kunst. Meist ist der Himmel
über Dresden schwarz, der unheimliche Mond erhellt kaum die schwankenden
Häuser, die merkwürdigen Wanderer in den dunklen Gassen, die säkularisierte
Totentänze aufführen. Als er 1984 die Stadt für immer verließ,
war es eine bewusste Entscheidung, es war die absolute Abwendung von der
Kulturpolitik der Regierung, eine Distanzierung, die nur durch Emigration,
also durch die totale Verweigerung ausgedrückt werden konnte. Als er
ging, gehörte er nicht mehr zu den unbeliebten, bekämpften Künstlern,
aber noch weniger als mit den Repressalien wollte Herrmann mit den Privilegien
dieser Regierung zu tun haben. Die absolute uneingeschränkte Ehrlichkeit
ist auch in Herrmanns Bildern spürbar, in jedem Pinselstrich, in jedem
Haus, in jedem Gesicht, das er darstellt. Herrmann verstellt sich nicht,
er macht uns nichts vor, er gibt keine fertigen Antworten, aber er erspart
uns auch keineswegs Fragen.
Das andere grosse Thema war und bleibt Berlin, eine Stadt, die für
den Künstler schon in der Dresdner Zeit eine große Rolle gespielt
hat. Seit 1953 unternahm er regelmässig Eisenbahnfahrten nach Ostberlin
und später nach Westberlin. Hier besuchte er die Galerie des 20. Jahrhunderts
in der Jebensstraße, wo er zum ersten Mal Bilder von Picasso und Beckmann
sah, die einen tiefen Eindruck bei ihm hinterließen. Im Schloss Charlottenburg
wurde er nach und nach mit der großen Tradition der Malerei, mit den
Impressionisten und mit den Künstlern, die ihn besonders interessierten
- von van Gogh bis Corinth - bekannt.
Ein Jahr vor dem Fall der Mauer malte Herrmann ein hochformatiges Bild,
"Die Schaukel" (heute in der Sammlung Ludwig). Ungewiss, in der
Luft schaukelnd hängt die Artistin in der Zirkuskuppel, hoch über
Berlin schwenkt sie die zwei Fahnen mit den Bären, ganz klein unten
die Häuser von Ost- und Westberlin, wie Spielzeug der Mauer entlang
aufgereiht. In den aufgesperrten Augen der Schaukelnden eine lange, stumme
Frage, die auf keine Antwort wartet, weil es damals wie heute keine geben
kann. Der Mensch in einem immer wieder prekären Gleichgewicht, in der
Luft schwebend, ohne festen Boden unter den Füßen - in solchen
Bildern wird das Spezifische an Herrmanns Kunst in der Mischung von Kühle
und Leidenschaft besonders deutlich. So wie hier sind seine Bilder unprätentiös,
fast naiv. Der Künstler bedient sich zwar oft der kunsthistorischtradierten
Pathosformeln und Metaphern, doch tut er das paradoxerweise auf ganz unpathetische
Art und vermittelt so einen Hauptgrundzug seines Kunstschaffens: eine tiefe
Menschlichkeit.
Auch die zuletzt entstandene Bilderserie hat Berlin als Thema. Es sind große
quadratische Leinwände, zu denen der Künstler bemerkt: "Es
sind Arbeiten, die mit Berlin zu tun haben. Jedes Bild hat das gleiche Format
2 m x 2 m. Stadträume mit eigenartigem Mobiliar (Häuser, Menschen,
Hunde, Straßen), die aber für mich normale und für den Betrachter
vielleicht ungewöhnliche Sichten sind. Blicke auf dieses komische Berlin
...
Das Entscheidende an diesen Bildern war wie immer der Genuss, etwas über
diese Stadt zu malen, das einen etwas anderen Blick zur Grundlage hatte.
Und es ist diese komische und immer etwas andere Sicht, die den Tenor meiner
Bilder bestimmte. Mit diesen Bildern, so glaube ich, habe ich für mich
eine Identifikation zu Berlin gefunden.
Der Künstler lebt nun seit über 14 Jahren in Berlin und hat alle
die tiefgreifenden Veränderungen miterlebt, die diese Stadt mitgemacht
hat. Die Wandlung in diesen Bildern ist sehr deutlich.
Waren die frühen Stadtlandschaften durch eine Vielzahl von Details
bestimmt (Häuser, Menschen, Laternen, Krenze, Sterne, Mond, Fenster
mit wehenden Gardinen), die zu vielgestaltigen, melancholischen Metaphern
des Großstadtlebens zusammenwuchsen, so wirken die neuen Bilder reduziert,
großflächig, vereinfacht. Die Details sind verschwunden, die
Bildflächen erscheinen quasi entvölkert. Oder es dominieren einzelne
Figuren, die die Komposition beherrschen. Die einzelnen Figuren bewegen
sich bzw. stehen ein wenig starr, wie auf einer Bühne, was den Eindruck
von Isolation verstärkt. Der Bildaufbau ist tektonisch klar gegliedert,
große Flächen beherrschen die Komposition, die somit eine große
Ruhe ausstrahlt, aber auch eine gewisse Kühle und Distanziertheit.
Es ist still geworden in diesen Bildern, der Großstadtlärm ist
gebannt oder es ist noch früh morgens, wenn die Tierliebhaber mit ihren
Hunden spazieren gehen, die rosa und blauen Töne den Himmel und die
Luft beherrschen und die Stadt noch nicht zum Leben erwacht ist. Der Grundakkord
der Malerei von Peter Herrmann bleibt auch hier spürbar, jenes "unnachahmliche
Flair" von Tristesse und Heiterkeit, von Armut und Poesie, die von
Anfang an seine Bilder bestimmten. Neu und teilweise überraschend ist
der Farbauftrag in diesen letzten Berlin-Landschaften, hellere Töne
und große Farbflächen dominieren und verstärken den Eindruck
einer zunehmenden Abstraktion. Besonders eindrucksvoll geschieht dies in
dem Gemälde mit dem kleinen weißen Hund in der rechten Ecke.
Links und rechts erheben sich zwei Hochhäuser gegen den rosa Himmel.
Sie sind zu Schwarz-Weiss-Streifen und Quadraten reduziert, die die Horizontale
stark betonen. Das eigentliche Bildgeschehen wird aber durch die große
gegenstandslose Fläche in der Mitte bestimmt, eine Art Zaun, der von
rechts nach links in wunderbar modalierten Flächen von rosa über
ocker zu braun-rot und gebrochenem Rosaton die hochdifferenzierte und subtile
Farbigkeit dieser Kunst offenbart. Diese Straße, dieser Zaun, diese
Häuser haben kaum Wiedererkennbarkeitswert, sie könnten überall
stehen, der kleine Hund schaut uns fragend an, wie so oft Figuren in Herrmanns
Bildern. Ist das noch Berlin? Es ist auf jeden Fall dieser merkwürdige
"andere Blick" auf Berlin, von dem der Künstler sprach. Alle
Fragen und alle Antworten sind in den Bildern selbst. Mit ihnen artikuliert
sich der Künstler. "Die Malerei brauche ich, um mich zu äußern,
sie ist meine einzige Sprache. Ich brauche die Malerei, um das los zu werden,
was in mir drin ist, worüber ich nachdenke und es ist meine Freude
und es ist auch meine schwere Arbeit".6) Und diese Arbeit wird er auch
weiterhin ausführen, weil sie sein Leben ist. Mit dem Schlusssatz aus
einem zehnminütigen Filmportrait, das 1992 gedreht wurde, möchte
ich abschließen: "Und wenn das irdische Leben ausweglos und unerträglich
scheint - ist Peter Herrmann derjenige, der sich die Welt, in der er lebt,
erträglich macht, mit dem was er kann: Malen".
Evelyn Weiss, stellvertretende Direktorin im Museum Ludwig Köln, Februar
2001 |